Wiederaufbau Atitlan

Am 5. Oktober 2005 verwüstete Hurrikan Stan ganze Landstriche in Guatemala. Am See Atitlan wurden verheerende Schlammlawinen an den Hängen der Vulkane ausgelöst. In Tzanchaj, einem Stadtteil der Gemeinde Santiago Atitlan, verloren ungefähr sechzig Familien ihre Häuser. Nachdem ich zuvor als Sprachlehrerin in der Gemeinde gearbeitet hatte, möchte ich nun versuchen, Hilfe und Wiederaufbau mitzuorganisieren. Dies stelle ich in diesem Tagebuch dar.

19.11.05

Wie ich nach Tzanchaj, Santiago Atitlan kam


Ende Mai machte ich mich von Quetzaltenango aus auf den Weg nach Santiago Atitlan auf der Suche nach einer Freiwilligenarbeit. Zufällig traf ich in einem Hotel auf Nino Tecun, der mir vorschlug, in der Schule von Tzanchaj als Englischlehrerin zu arbeiten. Als ich nach Unterkunftsmöglichkeiten fragte, bot er mir - zunächst noch etwas zögerlich - an, bei ihm und seiner Familie zu wohnen. Er war sich nicht zuletzt durch seine Arbeit im Hotel der Unterschiede in der Lebensweise bewusst und war verschämt, obwohl er selbst in Tzanchaj eines der größeren und stabileren Häuser gebaut hatte. Er machte sich Sorgen, wie ich mir "mein" Essen zubereiten könnte. Außerden gab es zu dem Zimmer, das er mir zur Verfuegung stellen wollte, keine Tür.

Am darauf folgenden Sonntag traf ich mich noch einmal mit ihm im Hotel, um dann mitsamt meinem Wanderrucksack auf einem der Pickups nach Tzanchaj zu fahren. Die anderen Leute, die dichtgedrängt mit uns auf der Ladefläche standen, schauten sehr erstaunt, als sie mich erblickten. Ich fühlte mich sehr fremd. Nach knapp drei Monaten in Guatemala war ich froh gewesen, mich im Spanischen einigermaßen zurecht zu finden. Doch nun war ich von der Maya-Sprache Tsutujil umgeben und verstand bis auf wenige spanische Wörter, die stets in die Sprache mit eingeflochten werden, überhaupt nichts mehr.

Zum Anhalten des Pickups pfiff Nino laut. Wir gingen einen sehr schmalen Pfad zwischen Hütten und kleinen Grundstücken hindurch zu Ninos Haus. Dort traf ich den Rest der fünfköpfigen Familie. Seine Frau Ana lächelte ganz vorsichtig aus der Ferne, schien aber sehr schüchtern oder fast verängstigt zu sein. Ein paar Sätze übersetzte Nino, da Ana überhaupt kein Spanisch spricht oder versteht. So verschwand sie dann ziemlich schnell in der Küche mit der jüngsten Tochter in einem bunten Tuch auf dem Rücken. Die Küche besteht aus einer kleinen Hütte aus Maisrohr und steht direkt neben dem größeren Haus aus Stein.

Die fünfjährige Tochter Ana Juanita saß vor dem Haus auf dem Boden und spielte mit der Erde. Sie lächelte mich an und schien - im Gegensatz zu den anderen - meine Gegenwart eher interessant als beängstigend zu finden. Nino musste zurück zur Arbeit und ließ mich im Haus zurück. Ich fühlte mich fremd und war mir unsicher, ob es überhaupt richtig war, so sehr in das Leben der Familie einzudringen. Es stand nicht nur die Sprachbarriere zwischen uns, sondern da war auch Angst vor der direkten Begegnung. Zum Glück waren einige der Kinder sehr offen und interessiert.